Nachstehend verweise ich auf folgenden Text (ich weiß, es ist viel, aber es lohnt sich ihn zu lesen!)

http://wp.hornstiftung-meissen.de/denkmalschutz-in-meissen

 

Ein Beitrag von Oswald Gröschel aus dem Jahre 1941

Wenn ich mich für Meißen einsetze, ist als erstes und überhaupt zu bemerken, dass ich damit auf keinen Posten ziele, weder bezahlt noch ehrenamtlich.
Wenn man sieht, dass das eigentliche Meißen immer weniger wird, dass so viele Kleinmotive einfach verschwinden und dass die untere Stadt immer mehr kalte Vorstadt und schließlich mal durchschnittliche Mittelstadt wird wie Nossen, Döbeln usw., dann kann und darf man wohl mal was sagen. Umso mehr, als ich mich vergewisserte, dass auch Andere den gleichen Gedankengang haben. Ja, man sagte mir: „Man wird darauf Wert legen, in Dresden einmal eine Meissner Stimme zu hören.“ Was Meißen anziehend macht oder machte!, das sind neben einen berühmten Bauten die kleinen Idyllen, die kleinen Dinge, die aber Charakter haben und immer Anregung zu wirklichem Denken geben. So lese ich jetzt zufällig in einem Hefte über Flandern von 1916, in einer Zeit großer Geschehen: „Die Idylle behält ja immer ihr Recht, auch in dieser Zeit gewaltigster Taten und Probleme und vielleicht gerade in ihr.“ Wenn Meißen auch die letzte gotische Stadt in weitem Umkreise ist, so hat oder hatte (!) es doch zudem noch so vieles Anziehendes und es ist Tatsache: das kennen Berliner besser als Meißner. Solche Kleinmotive aufzusuchen ist die Lieblingsidee von Photographen und Zeichnern und darin müsste Meißen das beliebte Wochenendziel von Dresden, Leipzig und Berlin sein. Aber gerade von dem so Anziehenden verschwindet immer mehr und mehr und der Ersatz durch schöne Gedichte des Stadtpoeten oder Schaufenster- oder Balkonschmückungswettbewerbe oder Grünenlagen ist nicht ausreichend. In Meisen tritt das bei jeder Verstädterung übliche ein: das Museum (eine Sondersache) wird voll und voller und die allen sichtbare Schönheit verschwindet. Das kann unmöglich das Ziel sein. Wenn das so Weitergeht, bleibt nur noch die Bergstadt und die Staatliche Porzellan-Manufaktur als Wertvolles. Aber diese Vernachlässigung muss sich auf den Fremdenverkehr auswirken und der ist nun mal für Meißen genau so eine Einnahme wie die Industrie.

Das sagte ein Meißner Geschäftsmann wie auch ich an der zuständigen Stelle. Eindruck machte es keinen. Es wird also in Zukunft sein wie bisher: die Fremdenautobusse fahren nur zur Burg und zur Manufaktur und dann: raus aus Meißen. Denn es bietet nichts mehr. Damit fällt das Wandern und Bummeln durch die Gassen und Straßen weg und den Schaden haben die Geschäfte und Wirtschaften. Denn gerade in diesen Autobussen sind die Kaufkräftigsten und mit denen fällt eine Einnahme aus, für die andere mit Steuern aufkommen müssen. Allein wegen dem Ausbleiben der Fremden musste das Antiquitätengeschäft von Medefind im Hohlweg (Nr. 4) schließen. Es hatte einfach keinen Verkauf mehr. Denselben schwindenden Umsatz verzeichnen aber auch Andere. So ist Meißen eine Stadt, die sich selbst im Weg steht.
Erfahrungsgemäß locken die Schaufenster der Kleinstadt viel mehr als die der Großstadt. Durch Erste geht man in Ruhe, will was sehen, durch Letztere in Hast. Allein darauf beruht der Wohlstand der kleinen Städte in Franken und Thüringen.
Wenn Meißen schön ist, dann reichen die mitgebrachten Filme nicht, also kaufen. Das Wandern durch die Straßen macht Hunger und Durst, auch kauft man Tabak und Postkarten. Man sieht ein Buch, zu dem man in der Großstadt keine Zeit fand. Schließlich auch mal das ein oder andere Werk der Künstler. Man bleibt auch länger. Es ist daran zu erinnern, dass lange vor dem Weltkrieg, als Meißen nach schön war, eben das alte Meißen, Fremde ein und zwei Wochen in den Gasthöfen wohnten. Um heute Meißen anzusehen: nicht einen Tag! Weil das eigentliche Meißen immer weniger wird, sind auch die Zeiten längst vorbei, in denen ganze Malklassen kamen, durch die Straßen gingen und eben doch Geld sitzen ließen. Wenn Meißen aber gemalt wird, es war sogar einmal «die meistgemalte Stadt, ist das sogar eine kostenlose Werbung. Allein dadurch sind Rothenburg, Dinkelsbühl, Iphofen und sogar ein vordem völlig unbekanntes Dorf (Worpswede) berühmt und groß geworden. Der Fremdenverkehr bildet dort eine völlig sichere Einnahme. Man sieht, was andere kleine Städte für die Hebung des Fremdenverkehrs tun: Anziehendes erhalten. Aber darin fehlt es in Meißen bedauerlicher Weise vollkommen. Neue Kunst aber sucht in Meißen niemand. Die ist in den Großstädten immer noch neuer. So herrscht in Meißen immer noch der Geist von 1910: es ging doch bisher, es wird auch weiter gehen. Bestand doch 1913 dar Plan sämtliche – Privatgebäude des Burgberges abzureißen und an ihre Stelle neue, aber wuchtige Renaissancehäuser zu setzen. Eins wuchtiger als das Andre. Es ist ferner Tatsache: noch 1939 wollte ein Meissner Geschäftsmann aus seinem Laden (Fleischergasse 14) die Renaissancedecke herausreißen lassen und die Fenster des „Golden Schiffes“ (Siebeneichnerstr.2) sollte durchaus gleich groß gemacht werden, alle schaufenstermäßig.

Der Meißner Geist von heute aus einer Unterhaltung; „Ich stenographiere 125 Silben und verdiene 180 Mark. Und was sind Ihre sonstigen Interessen? Das sind meine Interessen“ Zu diesem hier eine Kritik: “Aber das ist mit einer alten Maschine geschrieben. Außerdem ist die Sache doch längst überholt. Warum denn also Lübeck wieder aufbauen? Ja, warum die Hände waschen? Sie werden ja doch wieder schmutzig.“ Es sind freilich nicht alle Meißner so. Aber die Wenigen, die davon was erkannt haben, mühen sich umsonst.

Es folgt ein ganzes Verzeichnis dessen, was einfach Verdorben wurde, was nun dem Stadtbilde Abbruch tut. Das ist ganz abgesehen von dem, was in den letzten Jahrzehnten hoffnungslos verdorben wurde. So die ganze Wasserseite. Letztere hat man in Nürnberg, Bamberg, Bernburg und Straßburg rechtzeitig geschützt. Meißen hat den begründeten Namen „Die Stadt der roten Dächer“. Es gibt sogar eine ganze Postkartenreihe, welche diese Bezeichnung etwas stark unterstreicht. Mit Recht ist ein Schieferdach, früher M. Schmidt auf der Burgstraße, endlich beseitigt worden. Aber eins der größten Dächer, das des Rathauses ist neu gedeckt und in Farben schillernd. Alles, nur nicht einheitlich rot. Dieser Baufehler ist nun hundert Jahre zu ertragen! Ein dunkles Dach hätte auch der Würde des Hauses entsprochen. Das Gegenbeispiel ist das Dach der ehemaligen Franziskanerkirche. In diesen Wochen ist auch der letzte, alte Holzbau einfach abgerissen worden. Er war so malerisch, dass er gezeichnet .und gemalt wurde. Ich bin mir völlig sicher, dass die Stadt kein Bild dieses Baues hat. Sie besitzt noch immer kein Bildarchiv und das in einer Zeit, in der andere Städte schon seit vielen Jahren ein Bildarchiv von ihrer Umgebung haben, wie z.B. Zittau das von Zittau-Land.

Dort, wo der letzte Holzbau fiel, Postgäßchen-Lorenzgasse, ist ein schönes Gartenhäuschen. Man denkt dabei an Schubertsche Musik. Als ich mich für dessen Erhaltung einsetzte, kam mir die Antwort: „Nu cha, das wird eins Tages eben auch fallen“, Ein zweites ist die Neugasse Nr. 61, am Grabenweg. Das kennt man gar nicht! Auf Crassos Weinberg stand ein altes Hochwasserzeichen, ein Mast, an dem bei Gefahr Bälle, nachts Laternen, gehisst wurden. Das Zeichen war ein schöner Hinweis, dass Meißen Elbestadt ist. Vor allen war es sehr wissend gesetzt: man sah es mehrere Kilometer weit stromauf und -ab. Es ist aber entfernt worden und befindet sich nun am Damm des Winterhafens. Elbanlieger müssen sich nun die Warnungen erst an den Bekanntmachungen holen. Das Handwerkszeichen der Bleibe in der Gerbergasse, gegenüber der „Rote Schule“, ist spurlos verschwunden. Ersatz ist eine Lichtreklame. Weil hier aber gleich vier nebeneinander sind, beachtet man keines mehr. Hat doch auch ein Beschlagschmied Neugasse, Ecke Nikolaisteg, sich auch eine solche zugelegt. Ein Schmied und eine Lichtreklame! Wahrscheinlich, weil es solche noch nicht genug gibt. Es gibt so viele, dass man sie nicht mehr beachtet. Es ist dazu keine Zeit mehr. Dagegen zieht das 300 Jahre alte Handwerkszeichen der Nagelschmiede Uferstr. 9 die Augen auf sich, denn es ist auf der Welt einmalig. Das ist der Unterschied. Da kommt Johann Christian Ehrenfried und grüßt das Handwerk, das sieht man. Das Zeichen hat der Meister nach Feierabend selber gemacht. Die beiden Löwen passen zwar nicht rein, aber das macht nichts. Das Zeichen, ist keine Akademiearbeit, will keine sein. Der Meister hatte bloß seine Freude dran und alle Anderen auch. An den aufdringlichen Lichtreklamen hat niemand Freude. Der Gedankengang
ist etwa: Lieferant Firma Emil Schneider & Co., Dresden-N. (irgendwie ist es so), Liste C, Vorlage 3 b, kleine Ausführung, Motiv amerik., Tarif 14, S. 22 Material, Zuschlag, Kiste, Versicherung gegen Diebstahl und Bruch; Bei Zahlung innerhalb 30 Tagen 2% Skonto Bankverbindung Dresdner Bank. (N.B.: gleiche Ausführung für Bautzen, Coswig, Schirgiswalde, Leisnig) Ferner: Reiterkaserne Dresden wünscht ähnliche Ausführung, jedoch 12-fache Größe. Desgl. Frauenkirche Dresden, in violett, mit Gehbahn und Himmelsbestrahlung) Aber auch unter dem Handwerkszeichen der Nagelschmiede war schon mal eine schillernde Lichtreklame, welche Gott sei Dank verschwunden ist. Das Tuchmachertor an der Frauenkirche hat man verkommen lassen, ein Trost: es ist Vermessen worden und eines Tages hat man zwar ein mittelalterliches, dafür aber funkelnagelneues Tor als Ersatz und die Kosten außerdem noch dazu. Das letzte Weinbergstor, außerhalb der Stadt (Nossener Str., bei Kil. 0,9) ist abgerissen worden. Es was ja war nicht aufregend schön. Es war nicht mal künstlerisch wertvoll. Aber in seiner Schlichtheit belebte es die Landschaft. Im Garten von Crasso`s Weinberg verwittert ungesehen hinter einem Schuppen (dort gehört es hin!), ein altes Winzerwappen. Das gehört nicht etwa ins Museum, sondern an den Ratskeller. An dem Crassoschen Weinberghaus ist eine Wetterfahne aus der Zeit Karl V. spurlos verschwunden.

Ein altes Häusel, Leinewebergasse Nr. 6, ist als Fachwerkbau für jede Stadt eine wahre Zierde. Solche stehen in Braunschweig und Hildesheim unter Denkmalsschutz, obgleich diese Städte je etwa 800 solcher Bauten haben. Wenn solche Häuser durch Bomber vernichtet werden, spricht man mit Recht von Barbarei. Also sind sie doch kulturell wertvoll. Aber in Meißen will man das Abreißen amtlich betreiben. Das Häuschen sieht aus wie aus einem Märchen und genau von ihm sagte ein sehr unbefangener Herr vom Stadtbauamt: „Wenn die alte Bude doch endlich einmal abgerissen würde“. Dass dort an die Stelle der alten Laterne nicht etwa mal eine ganz moderne kommt! Meißen hat überhaupt noch viel Fachwerk Anderswo ist das erwünscht, weil es das Stadtbild belebt. In Meißen aber zieht man die grauen Wände vor, d.h. man wirft es zu. Das ist der Maurermeistergeist. Wie Fachwerk wirkt: freundliche Häuschen an der Hintermauer, im Jahnatal; dazu sehe man das Pfarrhaus in Lenz, nordöstlich von Meißen. Die Wirtschaft „Sächsischer Jäger“ im Rauhental hat auch nicht die geringste Erinnerung an die 13er. Der Name ist geradezu irreführend und könnte ebenso gut lauten „Zum Fußballer“.

Abgebrochen wurde ein urtümliches Brückchen in Garsebach. Ich wandte mich rechtzeitig an den „Sächsischen Heimatschutz“. Sie delegieren es an ihren Sachverständigen und der war für den Abbruch. Einfach genug: er sieht das Brückchen alle Tage und findet nichts Besonderes daran, man wird eben blind. Die neue Brücke steht neben der früheren, letztere hätte ebenso gut weiterbestehen können und man hätte zwei Brücken gehabt - die alte und die für schwere Lasten. Aber man reißt ab. Ist das nicht ganz wie Schilda? Aber mit Hilfe eines Sachverständigen.

Das alles sind so die kleinen und unersetzlichen Werte, welche Maler, Photographen und auch der Film geradezu suchen. (letzte Aufnahme an den Fischerhäusern Siebeneichener Str.) Aber die verschwinden immer mehr und mehr. Dafür lässt die Wirtschaft von Vincenz Richter neue mittelalterliche Bauten erstehen: die bekannte falsche Romantik, der Kitsch und die Irreführung von Kritiklosen. Die Wirtschaft „Zur Beresina“ im Rauhental setzt die Tradition nach Kräften schön fort und das seit 1812! Aber die Konkurrenz versucht gerade diese Wirtschaft stillzulegen.
Der Löthainer Freihof, Schloßberg 2, ist völlig sinngemäß erneuert worden. Alles Überkommene blieb erhalten. Selbst der Pferdestall, der lange keine Pferde mehr hat. Das machte ein Meißner Mauermeister mit dem Blick des Großstädters für das Idyll. Mit Hilfe des Verkehrsamtes und einem Papierkrieg – Motto: Deutschland ist schöner geworden – gelang es die beiden Rohziegelschuppen vor dem Stadtturm Hintermauer – Nossener Straße (Pönitenzturm) zu beseitigen. Es zeigt sich aber: das Beseitigen von etwas Hässlichen ist in Meißen schwerer durchzusetzen als das von Urtümlichen, siehe Garsebacher Brücke. Aber noch steht vor dem Wehrturm ein unschöner Betonmast. Wo in Meißen irgendwas Charakteristisches steht, da ist bestimmt auch ein Betonmast dabei, wie dazu gehörig. Jegliche Photografieabsicht wird damit zunichte.

An der Mauer der Fürstenschule müsste doch eine Gedenktafel oder ein Fries mit dem Porträts der Schüler sein, welche als Männer berühmt wurden. Das ist in Jena und andernorts an vielen Häusern so, in denen Studenten wohnten. Ferner ein Relief der alten Schule. Der Text aber nun nicht lateinisch. Das gilt nur innerhalb der Mauer. Wenn Paracelsus und Thomasius deutsch schrieben, wird man das in Meißen auch können. Sicher werden Grimma und Schulpforta dann folgen. Die Zyklopenmauer um den Afrakirchhof: wieder einer der Schmerzen. Früher war sie aus Feldsteinen, so wie heute noch an der Fürstenschule. Aber was für Lebende gut ist, wird auch für Tote taugen. Also vor den Bruchstein Feldstein setzen. So, dass sich in den Ritzen Pflanzen ansiedeln, wie an der Mauer der Fürstenschule. Dann ist die Einheit sämtlicher Mauern der Freiheit wiederhergestellt. Die 700-jährige Eibe in der Superintendentur (Freiheit 9) sollte zugänglich gemacht werden, dazu den Blick auf die Stadt. Vielleicht könnte man auch die unterirdischen Gänge des Hauses erschließen. Es wäre eine Sensation für die Fremden und eine Einnahme für die Kirche. An den Brunnen der Afrapfarre gehört Holunder. Ich sagte es dort und es wurde anerkannt. Aber es ist bis heute noch nichts geschehen. Noch ist Ho1under am Brunnen des Jahnschen Freihof (Freiheit 6). Ohne diesen ist der Eindruck: Badewanne. Noch sachlicher als jetzt wäre eine alte Teertonne.

Die Stätten der fehlenden Häuser (Leinewebergasse, Freiheit, kleiner Hohlweg), wahrscheinlich in den Kriegen niedergebrannt, nicht wieder bebauen. Das sind für eine alte Stadt Ehrennarben. Auch der Platz um das „Hohe Gericht“ (Nossener Straße) nicht bebauen. Um den Hügel gehören die alten Gerichtsbäume, laut Grimm. Wie Eiche, Linde Esche, auch Eibe und Wachholder. Obstbäume, wie jetzt, sind zwar praktischer, entsprachen aber der Stätte nicht. Ebenso gut könnte man auf ihr Kartoffeln bauen. Dazu um alles eine undurchdringliche Hecke als „gärtnerische. Anlage“. An der Autostraße unterhalb der Burg sehen hohe Mietshäuser, welche den Blick auf die Burg völlig verdecken. Wenn die mal abgerissen werden, kommen neue niedrigere Bauten hin.

Von der Erfindung des Handwerksmeister Große, die eines Meissners und tatsächlich epochemachend (wohl um 1780): die erste Lampe der Erde, die Pumplampe, in der das Öl im Docht zum Glaszylinder nach oben stieg. Davon weiß man in Meißen nichts. Zu dieser Erfindung hat die Menschheit 300000 Jahre gebraucht und sie wurde in Meißen gemacht. Vorher die Schale, der Kienspan und die Kerze. Noch Goethe klagte. Den Beleg gab ich an die Stadt. Er findet sich im Postkartenkatalog der Firma Bösenberg & Co, Dresden-A 1, Serrestraße 5. Jede andere Stadt wäre froh, diese Erfindung in ihren Mauern gemacht zu sehen.

In Meißen ist auf der Lorenzgasse der „Meißner Hof“. Diese Bezeichnung ist völlig sinnwidrig. Der „Meissner Hof“ kann niemals in Meißen selber gewesen sein. Nur Auswärtige hatten ihre Höfe hier, z.B. der Jahnaische und der Löthainer Freihof. Die Meissner Hofhaltung aber war auf der Burg.

Der Schmerz ist der immer weiter fortschreitende Abbruch des Görisch, einer Schanze der Bronzezeit, gegenüber von Diesbar. Das passiert in unserer „verantwortungsbewussten“ Zeit. Was werden da mal später die Geschlechter sagen?

Wäre denn das Folgende nicht zu beachten? Es dient dem Umsatz und stärkt die Steuerkraft: die höchsten Hochwasser und den Eisgang für den Fremdenverkehr zu nutzen. Somit Bekanntgabe in Zeitungen und Bilder in Zeitschriften. Von den hochwassergefährdeten Elbstädten Sachsens liegen vier so tief, dass sich diese Erscheinung eindringlich und großartig darstellt: Schandau, Pirna, Wehlen und Meißen. Aber Meißen liegt am verkehrsgünstigsten. Auch das Schützenfest wäre noch anziehender zu gestalten, durch alte Bräuche u.a. Es gab schon sehr anziehende Bilder bei Aufmärschen. Eine weitere Einnahme kann an zwei Sachen gestaltet werden, welche Meißen in ganz Mitteldeutschland allein hat: aus einem zusammengelegten Fischer- und Mostfest. Also «Steckerlfische» nach Münchener und Würzburger Art und Ausschank auf dem Markte. Dazu gehört ein Fischerumzug mit Prolog, der Dichter ist da! Elbgott und EIbnixen kommen auf dem Kahn Das schrieb ich dem Verkehrsamte, Eindruck machte es nicht. Aber den Fischern ist die Einnahme zu gönnen, weil durch den Damm unterhalb der Eisenbahnbrücke der Aalfang sehr gemindert wurde.

Heilig Kreuz liegt im Dornröschenschlaf, kaum kommen Fremde. Aber es liegt auch an der Autostraße und somit: Milchausschank und Liegewiese. Weil dort Gärtnerei ist, wird mancher Autofahrer seine Blumen für Dresden oder Leipzig dort kaufen, zumal Sonnabends oder Sonntags. Der Gedanke, den Rothschönberger Stollen für den Paddelboot- und Kahnverkehr zu erschließen, wie einen ähnlichen Stollen im Oberharz schon seit Jahrzehnten, scheitert vorläufig an der erhöhten Wasserführung des Stollens durch den wiederaufgenommenen Erzbau. Vielleicht aber später einmal. Voraussetzung ist eine genügende Wasserführung der Triebisch im Sommer, denn bis Meißen sollte die Fahrt gehen. Zu erwägen wäre noch die Erschließung Tälern der Umgebung Meißens für Wochenendhäuser. Tatsache ist: die Dresdner wollen sich zurückziehen und verlegen ihr Wochenende in die abgelegene, sandige und ebene Gegend der Elbe an der nordsächsischen Grenze. Dorthin, wo es weder Wasserleitung noch elektrisches Licht gibt, wo die alte Petroleumlampe wieder zu ihrem Rechte kommt. Auch die Lommatzscher Pflege sollte durch Fremdautobusse erschlossen werden, Thema der Rundfahrt: „Schlösser im Meissner Land, in der Lommatzscher Pflege“

Es wäre doch an der Zeit, es wäre sogar höchste Zeit, Meißen unter Schutz zu stellen. Wie Rothenburg, Dinkelsbühl, Iphofen, Wolfram von Eschenbach, Carcasonne in Frankreich. Dazu ein Berater aus Dresden. Wenn es doch in Meißen soweit käme:“ Gute Sitten gelten hier mehr als anderswo Gesetze“. Wenn der Meißner selbst auf das Schöne seiner Stadt achtet und er es auch hält, auch ohne Gesetz. Ich bin Optimist genug zu glauben, dass Vorträge und Hinweise in einer Zeitung doch Einiges wirken. Ein Meißner Sammler, Herr Otto Horn, (Weinhandlang, Elbstraße) hat über 200 Bilder der Stadt. Es wäre doch das Nächste an Hand dieser Bilder das wieder herzustellen, was nicht hoffnungslos verkitscht ist, was an Wenigen zu retten ist. Ein Coburg im Kleinen. An Manchem braucht nur der Stacheldraht und der Kitsch entfernt zu werden. Also: Meißen wieder schön machen – nach dam Kriege. So schön, wie es einmal als „die meistgemalte Stadt“ war. Das wäre sogar Anstandspflicht. Man liest jetzt soviel von „unseren Ahnen“ und es wäre Verpflichtung dieses Erbe zu erhalten, aber nicht zu verwahrlosen.

 

Otto Horn – der Lebenslauf einer Meißner Persönlichkeit

Otto Horn wurde als einziges Kind von Emma und Ernst Otto Horn am 4.12.1880 in Meißen geboren. Sein Vater (1845 – 1898) hatte nach Jahren der Wanderschaft seinen Bäckermeister bestanden und war mit dem Handelsregistereintrag ab 1876 auch offiziell als Weinhändler tätig. Vor der Niederlassung auf der Elbstr.9 hatte der Vater seit 1880 den Burgkeller gepachtet. 1882 wurde Ernst Otto Horn durch König Albert zum “Königlichen Hoflieferanten” ernannt. Die Mutter (1856 – 1943) war eine geborene Lansky. Ihr Vater hatte als Schafzuchtmeister im Vorzeigegut Leutewitz gearbeitet. Leutewitz war unter der Führung von Ökonomierat Steiger durch die Merinoschafzucht länderübergreifend zum Begriff geworden. Die Leutewitzer Merinos wurden bis nach Australien exportiert.

Otto Horn besuchte die Realschule in Meißen, die er Ostern 1896 mit dem Reifezeugnis verließ. Danach begann er eine kaufmännische Ausbildung in Dresden. Nach Jahren der Wanderschaft und Praktikas als Küfer und kaufmännischer Angestellter bei Winzern in Deutschland, Österreich und Italien trat Otto nachdem frühen Tod des Vaters (1898) 1904 als Teilhaber neben seiner Mutter Emma in das Geschäft (Offene Handelsgesellschaft) ein. Seinen Militärdienst absolvierte er bei den Königlich-Sächsischen Schützen als Füselier im Regiment Nr. 108. Infolge einer Verletzung wurde er felddienstunfähig und als Reserveoffizier entlassen.

Aufgrund der guten Geschäftslage erfolgte die kontinuierliche Erweiterung des Vermögens durch Kauf von Grundstücken. Der Vater hatte bereits 1866 die Elbstr.9 und 1889 die Elbstr. 10 erworben. 1893 erwarb die Familie das Weinberggrundstück Plossenwerg 4, 1897 den Baderberg 2, 1898 den Schloßberg 14, 1908 die Elbstr. 11 und 1912 den Schloßberg 13. Otto Horn war Mitglied des Vorstandes im Weinbauvereins und im Verein zur Förderung des Fremdenverkehrs. 1917 tritt er dem Meißner Geschichtsverein bei und seit 1920 war er auch Vorstandsmitglied des Museumsausschusses. Spätestens seit dieser Zeit baute Otto Horn seine umfangreichen privaten Sammlungen (Münzen, Plastik, Grafik, Bücher, Gemälde, Uhren) kontinuierlich auf. Freundschaften zu Helmuth Gröger und Walter Hentschel beeinflussen sicher seine Sammlertätigkeit. Wissenschaftliche Schriften über seine Sammelobjekte sowie zahlreiche Manuskripte zeugen von seiner Sammelleidenschaft und Kunstkenntnis.

1937 umfasst das Betriebskapital ohne Grundstücke ca.60.000 Reichsmark. In dem Jahr scheidet seine Mutter Emma aus der Handelsgesellschaft aus. 1943 löste Otto Horn die Offene Handelsgesellschaft auf. Zugleich erarbeitet er sein umfängliches Testament mit 63 Punkten, das in der Folge bis zum Mai 1945 3 Nachträge und 4 Zusätze erhält. Die wichtigen Punkte werden dabei nicht korrigiert. Der Großteil seines Vermögens übereignet Otto Horn einer Stiftung, benannt nach seinen Eltern. Am 7. Mai wählt Otto Horn mit seiner langjährigen Haushälterin Minna Wolf den Freitod in seinem Wohnhaus Plossenweg 4.

Über die Gründe für den Freitod Otto Horns kann nur spekuliert werden. Tage zuvor war er im Kreis von Freunden noch als Aushilfswirt in seiner Lieblingsschänke, den “Winkelkrug”, zu finden. Das Leben ging trotz des nahenden Kriegsendes weiter, auch wenn von vielen Menschen die Bedrohlichkeit der Situation gesehen wurde. Ein politisches Engagement Otto Horns in der NS-Zeit ist aus den zahlreich überkommenen Dokumenten nicht ansatzweise erkennbar. Sicher hatte Horn die zu erwartenden Umstände des Umbruchs im Jahr 1945 als äußerst radikal eingeschätzt, zudem wäre er als wohlhabender Bürger sehr schnell in den Fokus der neuen Administration geraten.

 

Otto Horn: Die Veränderung des Meißner Stadtbildes

Ein Vortrag von Otto Horn aus dem Jahre 1921. Der Vortrag wurde von Otto Horn öffentlich im Geschichtsverein gehalten und auch im Meißner Tageblatt publiziert. Die nachfolgende Fassung ist eine überarbeitete lange Version, die sich im Nachlass von Otto Horn (Stadtarchiv Meißen) befindet. Hierzu sind interessante Passsagen, die Otto Horn gestrichen hatte, wieder aufgenommen worden.

Es gibt sicher in Deutschland, man kann vielleicht behaupten in Europa, keine Stadt, die im Verhältnis zu ihrem Umfange so oft so mannigfaltig den Malkünstlern als Vorwurf gedient hat, wie unser liebes Meissen. Selbst von Nürnberg, von Rothenburg und den Rheingegenden – die Sehnsucht unserer Künstler – gibt es weniger Ansichten. Da diese Städte auch ihre Reize besitzen, welche das Künstlerauge erfreuen, so muss hier für Meissen ein ganz besonderer Grund vorliegen, und dem ist auch so. Unsere Porzellanmanufaktur ist die Ursache, ihr verdanken wir den Reichtum an Meissner Bildern, die so manches künstlerische Talent zum Entfalten gebracht, gehegt und gepflegt hat, die aber oft dabei auch um die Früchte ihrer Mühen gekommen ist. Denn diese Künstler, als die Kriegsjahre vorüber waren, als ihr Genius seine Schwingen entfaltete, als sie glaubten, über ihre Fähigkeiten sich Rechenschaft ablegen zu können, verließen die Manufaktur, entflogen seiner gewissen Gebundenheit hinaus ins Freie, ins Ungewisse. Deshalb gibt es so viele Jugendarbeiten von bedeutenden Künstlern, die Meissen darstellen. Aber auch freie Künstler haben Jahre, ja Jahrzehnte lang in Meissen gelebt und gemalt.

Manches reife Kunstwerk ist entstanden hier in Meissens Mauern und kündet nun aller Welt die Schönheit unserer Stadt. Mit hellen Augen sind diese Männer durch unsere Gassen und Gässchen mit ihren entzückenden Winkeln gewandelt, durch die lieblichen Fluren der Umgebung gestreift mit Bleistift und Pinsel und haben festgehalten, was ihr schönheitstrunkenes Auge erfreute. Oft waren es lustige, trinkfeste Gesellen, oft auch stille in sich gekehrte, einsame ja wunderliche Menschen, an denen die Bürger mit mitleidigem Achselzucken vorübergingen. Ab und zu vielleicht ihnen ein Bild abkaufend, wenn das Geburtshaus, oder sonst irgendeinen Ort darstellte, der ein besonderes Interesse bei dem Käufer erweckte. Nach Jahren, nach Jahrzehnten erfuhren dann die Meissner, oft nur durch einen Zufall, was für einen glänzenden Aufstieg in irgendeiner großen Kunststadt der oder jener dieser närrischen Kerle genossen hatte. Es kamen Biographen und Sammler nach Meissen, besonders aber Händler, die nach Werken dieser nun so berühmten Männer fahndeten. Die ahnungslosen Meissner waren froh, wenn sie nach 10, nach 20 Jahren das Doppelte oder Dreifache von dem erhielten, was sie seinerzeit dem Künstler bezahlt hatten, während der Händler vielleicht den hundertfachen Betrag einheimste. Noch vor einem Menschenalter war es allerdings nicht leicht, die Leute zur Herausgabe solcher Andenken und überhaupt zum Verkauf alten Hausrates zu belegen.

Als aber von der Mitte des verflossenen Jahrhunderts an das große Sterben der sogenannten guten alten Zelt begann, als altväterliche Art so etwas wie Minderwertigkeit bedeutete, als das Wort Fabrik in den deutschen Sprachschatz aufgenommen wurde, als die Wein- und Bierschänken, das Wirts- und Gasthaus verschwanden, dafür die Restaurationen und Hotels aufkamen oder wenigstens seine jetzige Bedeutung erhielt. Deutschland fing an zu arbeiten wie nie zuvor, wie kein anderes Volk. Dadurch zwang es die übrigen Kulturnationen, wollten sie nicht unter den Schlitten kommen, mit zu schuften – übrigens letzten Endes die Ursache des Weltkrieges. Als der Blick ausschließlich auf die Berufsarbeit, dabei vor allen Dingen auf die Zukunft gerichtet war, erlosch der Sinn für das Althergebrachte, die Ehrfurcht vor dem, was die Vorfahren hinterlassen hatten, die ja so unpraktische und bequeme Leute gewesen waren. In den Schulen kam zwar die Heimatkunde auf den Lehrplan. Sie konnte aber das nicht ersetzen, was früher Großvater und Großmutter an den langen Winterabenden aus ihrer Kinderzeit in den Spinnstuben erzählt hatten, oder das, was ihnen wiederum von Ahne und Urahne mündlich überliefert worden war. Sicher besaß früher der Durchschnittsbürger nicht den zehnten Teil des historischen Wissens wie der von heute. Aber in den letzten fünfzig oder hundert Jahren Geschichte seines Heimatortes war er zu Hause. Die Liebe zu irgendeinem Schmucke oder Möbelstück, zu einem Bilde oder Bauwerk wurde von einer Generation bewusst auf die nächste vererbt. Dieser Sinn ging leider verloren und damit ein gutes Stück deutscher Art. Alten Plunder nannte man oft den Hausrat von Eltern und Grosseltern, der in den finstern Ecken auf den Böden ein Aschenbrödeldasein führte, bis endlich ein Altwarenhändler Einen von dem Zeuge in Bausch und Bogen befreite.

Meissen ist seit dem 30-jährigen Krieg von großer Feuersnot und Plünderungen verschont geblieben. Die späteren feindlichen Brandschatzungen beschränkten sich allerdings sehr ausgiebig auf Lieferung von Geld, Kleidung und Nahrungsmitteln und auch auf Lieferung von Porzellan durch die Manufaktur. Aber wie peinlich gering, wie kläglich sind die Andenken aus früheren Zeiten in unserer Stadt, selbst bei den ältesten Meissner Familien, wobei ich allerdings den Besitz der Meißnischen Adelsgeschlechter, der ja Fideicommiß ist, ausnehme. Von Süddeutschland ganz abgesehen, braucht man ja nur nach Böhmen hinüber zu wandern, um einen Unterschied kennen zu lernen. Wie ja überhaupt der Katholizismus in dieser Beziehung besondere Verdienste hat. Was ist in den letzten 100 Jahren alles aus Meissen verschleppt worden! Aus den Bürgerhäusern sowie aus unseren Kirchen. Der Altarschrein mit Predella aus unserer Frauenkirche, ein herrliches Werk Ende des 15. Jahrhunderts, wurde 1845 nach Dresden in das Altertumsmuseum überführt. Hier brach der Altar bald zusammen, wurde allerdings sorgfaltig wieder hergesellt. Als man Mitte der (18)70-ziger Jahre die Afrakirche umbaute, öffnete man auch Gräber der alten Adelsgeschlechter und die Rüstungen der Schmuck, ja sogar die teilweise noch gut erhaltenen Brokatkleider verschwanden auf Nimmerwiedersehn, wie mir alte Meissner versichert haben. Die herrlichen Holzverkleidungen und Holzdecken, die fast jedes Patrizierhaus in Meissen zierte, hat man herausgerissen. Sie schmücken jetzt in England oder Amerika die Wände irgendeines Palastes. Den gotischen Prospekt der Domorgel verkaufte man nach England. Ganze Wagenladungen alter Schränke, Truhen, Porzellane, Zinnsachen und sonstigen Gütern sind von unseren Vettern jenseits des Kanals aufgekauft und fortgeschafft. Und unsere Großeltern und Eltern lachten geringfügig über die Liebhabe solcher alten Sachen, über die verrückten Engländer mit den langen Backenbärten und großkarierten Anzügen, ich jene Herrenmenschen, die damals Deutschland durchstreiften, die heute ihren Nachkommen nach Indien und besonders China schicken, um die köstlichsten und wertvollsten Überbleibsel hoher Kultur zu sammeln und in ihre Edelsitze aufzustapeln. Einiges blieb auch in unserem Vaterland, ja sogar in Meißen, z.B. wanderten die mit interessanten Bildern versehenen Wandverkleidungen und Zimmer des „Alten Ritter“ nach Blasewitz. Der nachmalige Besitzer schenkte sie unserem Museum. Unter einem Bilde steht: „Ruhe Einigkeit und Frieden herrschen überall hinnieden, wenn die Völker und Monarchen tief im Schlaf gefangen schnarchen. Unter einem (weiteren) solchen Bilde steht: „Mehr als Weisheit, Muth und scharfe Witze, mehr als der Wahrheit kühne Geistesblitze hält der Deutsche seine Zipfelmütze zu des Vaterlandes Heil für nütze“. Diese Verse stammen von 1597, veraltet sind sie wohl aber noch nicht. Eine geschnitzte Holzdecke desselben Hauses kam in die Huttenburg rein und ging nach Berlin. Das Tor des Hauses am Heinrichsplatz, das jetzt dem Kaufmann Gebhardt gehört, wurde an einem Neubau der Hirschbergstraße angebracht. Bis in die allerletzte Zeit könnte ich die Liste fortsetzen.

Das es aber möglich war, ein Fries in der Martinskirche, den man 1898 beim Abputzen freilegte, den Totentanz darstellend und wahrscheinlich um 1450 gemalt, trotz des Widerspruchs der Kommission zur Erhaltung der Kunstdenkmäler vom damaligen Pfarrer eigenmächtig überstrichen werden konnte, möchte ich nicht unerwähnt lassen. Mit den alten Wandmalereien im Chor der Nikolaikirche, welche aus dem 13. Jahrhundert, vielleicht aus einer noch früheren Periode stammen, ist jedenfalls bei der Restaurierung pietätvoller verfahren worden. In den 1870-er Jahren verkaufte ein unterer Ratsbeamter einen großen Teil der Ratsakten, die in Kisten verpackt auf dem Boden des Rathauses jahrhundertelang gelegen hatten, als Makulatur, wie später Professor Loose zu seinem großen Schmerze feststellen musste. Bis endlich neben Professor Flade eben jener unvergessliche Mann Loose aufklärend wirkte, den Meissner Geschichtsverein gründeten, das Interesse für das Alte bei den Meissnern erweckten und zu retten suchten, was noch zu retten war. Leider war es aber fast zu spät. Aber was getan werden konnte, ist noch getan worden. Wer sich unser Museum eingehend betrachtet, vor allen Dingen, wer sich in die Veröffentlichungen des Meissner Geschichtsvereins vertieft, muss größte Achtung empfinden vor diesem Mann, der seine zweite Heimat über alles liebte und außerdem noch verstand, selbstlose Mitarbeiter zu finden. Ich kann nicht dringend genug anraten, die Mitteilungen des Meißner Geschichtsvereins zu lesen. Mit ganz anderen Augen wird man durch unsere Stadt wandern, wenn man sich mit den Kommen und Gehen der Generationen beschäftigt hat, die 1000 Jahre zu einer langen Kette aneinander geschweißt hat.

Als Schüler in den Ferien habe ich mit helfen müssen beim Ordnen der ersten Schätze für sein Museum und mit noch anderen Schülern die verwitterten lateinischen Inschriften auf den Grabsteinen abgeschrieben und entziffert, die in finsteren Kreuzgängen und in der Mönchskirche zwischen den Kaffeesäcken und Ölfässern umher lagen. Leider hat er eines nicht verhindern können: die Verschandelung. unseres Stadtbildes. Allerdings fing dieses schon in den (18)30 er Jahren an, als man die alten Tore und die Stadtmauern niederriß. 1844 schrieb Karl Julius Hoffmann, der Verfasser des Meissner Niederlandes, der sehr geschätzte Fremdenführer Meissens, welcher in seinem Berufe ehrsamer Schuhmachermeister war, aber durch großen Fleiß sich Bildung und Gelehrsamkeit angeeignet hatte. Die 25 Gassen, welche Meissen zählen, enthalten zwar massive Häuser, sind aber zum Teil bergig, düster und eng. Seit einem kurzen Zeitraum hat sich jedoch Meissen durch das Abputzen vieler Häuser sowie durch Abtragen der 6 Stadttore bedeutend freundlicher herausgestellt; sodass die herrschende Äußerung „das schwarze Meissen“ jetzt nicht mehr anwendbar sein dürfte. Aus diesen Worten spricht doch alles andere als etwa das Bedauern über den Verlust der Tore, dabei waren sie von einem Manne geschrieben, der sich eingehend und liebevoll mit Meissens Geschichte beschäftigt hat. Es kam die Zeit, wo man in die schön in die schön gegliederten mit feinen Bildhauerarbeiten geschmückten Hausfassaden große viereckige Löcher hineinhacke, die als Schaufenster dienen mussten. Die scheußliche Erfindung des Rolladens machte die Zwischenräume, die für die Holzläden zwischen den Fenstern notwendig waren, überflüssig. Die so überaus malerischen grünen Holzflächen an den äußeren Häuserwänden verschwanden daher auch an den oberen Stockwerken, dort benutzte man die modischen Jalousien zum Bedecken der Fenster. Die nun frei gewordenen großen Flächen wurden mit marktschreierischen Firmenanpreisungen beklext. Es war die Zeit, wo der Name Kiesellack überall in den deutschen Landen prangte. Die wunderbar behauenen Haustüren aus Sandstein wurden herausgerissen. Größere, einfache, ebenfalls viereckige Löcher traten an ihre Stelle. Der eiserne T-Träger, nur schlecht oder geschmacklos verputzt feierte als Stütze dabei seine ersten Triumphe. Die Haustore, schön geschnitzt aus Eiche verschwanden und nüchterne Türen aus billigem Holz mit aufgeleimten Leisten ersetzten sie. Im günstigsten Fall ließ man den Rundbogen stehen und hieb die Sandsteinsitze an den Seiten der Türen ab, auf denen man nach Feierabend gesessen hatte, um einen bequemeren Eingang ins Haus zu haben. Fast alle Häuser in der inneren Stadt, die nach einen guten Stil gebaut sind, das sind heute noch wohl beinahe die Hälfte der Gebäude, hat man so brutal, pietät- und geschmacklos behandelt. Wollte man als Geschäftsmann nicht rückständig gelten, musste man sein Haus so vorrichten lassen. Bis in die 1880- er Jahre hat man in solcher Weise herumgewütet. Es war die Zeit , wo die Fassaden der neu zu erbauenden Häuser auf dem Reißbrett im sogenannten Komptoir des Baumeisters entworfen worden ohne Rücksicht auf die Wirkung für die Umgebung, von Menschen, die zwar die Feinheiten und Kapriolen von einem Dutzend Bausstilen im Kopfe, aber dabei den Zusammenhang mit dem letztem wirklichen Stil verloren hatten. Mit dem Stile wie er von den Baumeistern und Maurermeistern bis ungefähr l830 empfunden .worden war. Die Romburg, dann Güntzburg, jetzt GeipeIburg genannt und die Huttenburg, beide vor 1800 erbaut, sind die ersten Produkte von Baumeistern, die den Boden unter den Füssen verloren hatten und aus fremden Baustilen zusammenbauten, was, ihnen gut dünkte. Später kam die Materialtäuschung hinzu. Kalkwände wurden granitfarbig gestrichen, Zement täuschte Sandstein vor, mit Mörtel beschmierte zusammengelötete Zinkblechstücke wurden als Bildhauerarbeiten an den unmöglichsten Stellen der Hausfronten und Giebel angebracht. Es war also nicht nur Schönes, sondern es zeugte vom gänzlichen Mangel an Fachkenntnis des Kulturhistorischen. Sollte man Irgendwen dafür verantwortlich machen, solche Bauten wie die Rote Schule und die Fürstenschule als vornehme und schöne Bauten, die geradezu verlangt und überall und nicht nur in Meißen gemacht und gefördert wurde?

Wir dürfen nicht vergessen, was in hygienischer Beziehung in dieser Zeit geleistet worden ist. Früher, vor der Kanalisation und Wasserleitung wichen der Typhus und andere ansteckende Krankheiten nicht aus unserer Stadt. Es war auch kein Wunder: in den Höfen der Häuser waren Brunnen und ungemauerte Dunggruben oft nur schrittweise voneinander entfernt und das große Wasser sorgte in den überschwemmten Stadtteilen fast jährlich, dass der Inhalt beider vermischt wurde. Die so malerischen Bauten waren überhaupt sehr ungesund, aber man hätte die Fassaden und die Dächer der neuen Häuser liebe- und verständnisvoller und mit Rücksicht auf die Umgebung behandeln können. Meissen war in seinen Kriegsschäden bis zur Zerstörung durch die Schweden 1637 sicher die schönste Stadt, die köstlichste Heim im Range der kurfürstlichen Städte. Auch die späteren Bürger ließen Bauten bis zu Anfang des 19. Jahrhunderts errichten, die von Taktgefühl ihrer Erbauer zeugen, wenngleich ihr Können kein Bodenständiges mehr war. Die Hausbaukultur sollte sich nach dem 30-jährigen Krieg ihre Vorbilder aus der neuen, mächtig aufblühenden Richtung holen. Wie man aber diese umfangreiche Vermächtnis behandelt und verwaltet, das sehe ich enttäuscht beim Ausgehen. Das muss aber jeder selbst empfinden, wen er durch unsere Stadt geht. Die Künstler jener Tage haben den Barbarismus jedenfalls kummervoll zugeschaut, aber niemals lauten Protest erhoben. Doch in manchen Briefen stößt man darauf und viele Zeichnungen jener Tage tragen den Vermerk: 8 Tage vor dem Abbruch, kurz vor der Zerstörung gemalt. Zuletzt war es der verstorbene Photograph Rudolf Schroeter, der mit seinem Apparate schnell noch irgendeinen zum Tode verurteilten malerischen Winkel aufnahm, wo dann nach einigen Wochen ein Produkt der neuen Baukunst sich protzig erhob.

Soweit mir bekannt, war es zuerst Adelung, der um 1800 Leiter der Königlichen. Bibliothek in Dresden war, welcher solche Bilder gesammelt und auch ein Verzeichnis zusammengestellt hat. Sein Nachlass befindet sich noch in der Bibliothek in Dresden. In neuerer Zeit sammelte Loose für unser Museum. Später hinterließ Herr Kaufmann Schröder, der ja den alten Meissnern noch bekannt sein dürfte, er wohnte zuletzt in der Villa unterhalb des Schlosses Siebeneichen, eine schöne Kollektion Meissner Bilder. Auch das Kupferstichkabinett besitzt Meissen-Ansichten in großer Zahl. Viele liegen aber nicht unter Meißen, sondern unter dem Namen der betreffenden Künstler, was für die Auffindung schwierig oder zum mindesten zeitraubend ist.

In den letzten Jahren habe ich versucht zu sammeln und über 1500 Ansichten Meissens zusammengebracht. Meine Sammlung umfasst beinahe vier Jahrhunderte. Sie zeigt eine Geschichte des deutschen Landschaftsbildes im Kleinen, den Wandel des Geschmackes und der Technik während dieser Zeit, die Größe des künstlerischen Könnens in den einzelnen Perioden. Vor allen Dingen gibt sie uns Aufschluss über die baulichen Veränderungen, die unsere Stadt während dieser vier Jahrhunderte erlebt hat. Künstlerische Gesichtspunkte sind es nicht ausschließlich, die maßgebend für die Erwerbung eines einzelnen Blattes waren. Viele oder die meisten Bilder bringen und geben dem Künstler von heute nichts, können dem Kunstfreund nichts sagen oder richtiger: sie können dem Kunstliebhaber von heute nichts mehr sagen, denn der Geschmack hat sich gewandelt. Gewiss, ich kann Ihnen Bilder zeigen, die, als sie seinerzeit in die Hände des gebildeten Publikums kamen, als die größten Kunstwerke gepriesen wurden, die in keiner Kunstsammlung, in keiner Wohnung fehlen durften. Die damals alle namhaften Kunstkritiker, schon aus Angst, nicht unmodern zu erscheinen, als Offenbarungen einer neuen herrlichen Kunst in den Himmel hoben, für die unsinnige Preise gezahlt wurden sowie heute für einen Nolde, für einen Kokoschka. Je weiter man sich von dem Wirklichen entfernte, desto größer war der Erfolg Und wie man heute menschliche Gestalten zeichnet und pinselt, die durch eine Wringmaschine gequetscht zu sein scheinen, oder die man 40 Tage lang hat hungern und dürsten lassen, ihren wimmernden Gesichtern sieht man ja oft auch den Schmerz ob solcher Behandlung an. So malten die vor 150 Jahren modernen Maler pittoreske Landschaften, die man vergeblich hier bei uns gesucht hätte und schrieb ungeniert darunter: Les environs de Meissen, aus der Umgegend von Meissen.

Wie mancher unserer Modernen heute aus den Anfängen altägyptischer oder altchristlicher Kunst, aus den Malversuchen der Südseeinsulaner oder aus den Schmierbüchern von Kindern und Irren seine Motive auszuwählen scheint, so stahl man wahrscheinlich damals aus alt italienischen Stichen Landschaftsmotive, die ohne inneres Erlebnis, aus Sucht nach Sensation verstandesmäßig auf die Leinewand geworfen wurden. Die Namen dieser Menschen, die zu ihren Lebzeiten als Sterne erster Größe an dem Kunst Himmel strahlten, die glaubten, dass ihr Ruhm die Jahrhunderte überdauern würde, sie sind vergessen, verschollen. Höchstens bei einer solchen Gelegenheit wie heute Abend steigen sie aus den Gräbern hervor. Sie mahnen uns, wie schwer es ist, zu rechten und zu richten über die Zeit, in der man lebt und wie vorsichtig man sein muss im verurteilen, besonders aber auch im übermäßig preisen und loben alles dessen, was man selbst hat noch erstehen sehen. Es ist so recht bezeichnend für uns Menschen: jede Zeit glaubt, dass sie im Gegensatz zu all den früheren sich in ihrer eigenen Wertschätzung bei der Nachwelt blamiert. Deshalb ist eigentlich dieKunstgeschichte nicht die richtige, die uns aus früheren Perioden nur das bringt, was uns Jetztzeitmenschen als wertvoll als große Kunst erscheint, sondern sie darf das nicht vergessen zu erzählen und anzufühlen, was den Menschen der einzelnen Epochen als ihr größtes Erlebnis gegolten hat und wirklich gewesen ist.. Erst dann Können wir uns einen ungefähren Begriff, ein Bild von unseren Vorfahren machen.

Die größte Anzahl meiner Meißen-Bilder sind sogenannte brave Bilder, aus denen zwar nur ein mäßiges Können, abereine außerordentliche Liebe zum Objekt, die Heimatliebe spricht. So steht unter einer Ansicht von Meißen aus dem Jahre 1767: „Hier zeig ich Dir im Bilde die Meißnischen Gefilde, daß aber nicht zu matt vertriebe auch der Liebe und grüße meine Triebe, so findet meine Hoffnung Platz“.

Diese Bilder und Bildchen zeigen uns liebevoll, wie unser Städtchen und seine liebliche Umgebung vor 50, vor l00, vor 150 Jahren und noch früher ausgesehen hat. Sie lassen uns dabei fühlen, wie man verständnislos, ohne Achtung vor dem Alten eine Idylle nach der andern verschandelt, Ein malerisches Bauwerk nach dem anderen wurde niedergerissen und dafür ein Surrogat hingesetzt, das den Beschauer nun schmerzhaft in die Augen sticht. Nun, wir sind jetzt arm geworden, und stehen noch vor größerer Armut. Es werden jetzt die mageren Jahre kommen, die unsere Väter von 1637 und l810 an durchkostet haben. Das Geld für architektonische Schöpfungen wird träge fließen. Man wird nur bauen, verändern, erneuern, ergänzen aus inneren Ursachen, nur wenn zwingend Bedürfnisse vorliegen. Aber nicht, um mit der Mode zu gehen, nicht um sich einen Namen zu machen, welche Absicht übrigens oft schon bei der nächsten Generation die entgegengesetzte Wirkung hervorbringen kann.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich mir erlauben, an einer Anschauung Kritik zu üben. An einer Anschauung, die so oft zu baulichen Veränderungen in unserer Stadt Veranlassung gegeben hat und der so viele architektonische Denkmale zum Opfer gebracht worden sind, ohne dass es nötig war. Es ist die Achtung, ja man kann sagen, die Angst vor dem Verkehr! Die Angst, dass Straßen und Trottoir zu schmal, zu eng sind für das Treiben in unser Stadt, Ich komme oft In viele andere Städte und ich kann sagen, je kleiner die Stadt, je weniger Leben in ihr, desto größer das Geschrei nach Platz auf der Straße. Man gehe doch einmal nach Berlin auf den Hausvogtei- oder Potsdamer Platz, von Paris, London und New York ganz zu schweigen. Was ist da für ein Getriebe und Gedränge; wie oft muss der hastende Großstädter warten. Was er übrigens ganz geduldig tut, ehe er weiter eilen kann und wie tadellos wickelt sich das Getriebe ab. Wer heutzutage nach Coblenz kommt, wo, Gott seis geklagt, seit 3 Jahren die Amerikaner hausen, der kann einmal sehen, was Verkehr und Verkehrsregelung heißt. Die Straßen dieser alten Festungsstadt sind sämtlich schmäler als die Breite unserer alten Elbbrücke. Was für ein geradezu beängstigender Verkehr quirlt und braust durch diese Gassen und Gässchen. Dazwischen sausen mit 30 km Geschwindigkeit die Automobile und Motorräder der Amerikaner hindurch. Die deutschen Schutzleute sind amerikanisch gedrillt.

Als bei uns die Frage des Baues einer Straßenbahn akut wurde, wie zeterte damals manch sonst ganz gescheiter Meissner nie wieder durch die Elbgasse zu gehen, da es mit Lebensgefahr verbunden sein wurde. Ich hatte deshalb seinerzeit von Mainz die Masse einer viel engeren und ebenso belebten Straße mitgebracht, durch welche die Elektrische fährt. Trotzdem ließen sich diese Leute nicht überzeugen. Und wo ereignete sich der erste Unfall? Wo wurde bei uns das erste Menschenkind von der Bahn überfahren? Auf der breitesten Straße, die die Bahn durchfährt. auf der Neugasse. Es wird nun bald die Zeit kommen, wo die Autos immer mehr überhand nehmen. Wie amüsant ist es schon jetzt, wenn man beobachtet, mit welch ärgerlicher, ja verächtlicher Miene mancher so ein fauchendes Ungetüm ansieht, das wagt, ihn beim Gang über die Straße einige Augenblicke aufzuhalten! Auch wenn ganz honorige Leute und nicht gerade Menschen drin sitzen, denen man ihren frischen Reichtum an der Nasenspitze ansieht. Unsere Straßen sind zu eng geworden! Sie müssen verbreitert werden! Also weg mit dem im Wege Stehenden! So wird es bald bei uns in Meißen wieder einmal heißen. Auf diese Forderung möchte ichmit der Redensart eines Meissner Originals, dem ich manche frohe Stunde verdanke, antworten: „Sachte, das verzieht sich!“ In 50, vielleicht schon in 25 Jahren ist die Autopest, wie man diese Plage oft zartfühlend nennt, vorüber, soweit wenigstens der Fernverkehr in Frage kommt. Auf der Ziegelwiese oder in der Nassau haben wir dann Flugbahnhöfe. Die mit dem Lineal so außerordentlich schön gerade geplanten und ausgeführten Straßenverbreiterungen, die den Charakter unserer Stadt vollkommen zerstören, sind unnötig gewesen.

Ich fühle es, meine Damen und Herren, ich weiß es, dass Sie nicht gewillt sind, mir hier zu folgen, geschweige denn meine Ausführungen zu Ihrer Ansicht zu machen . Ich möchte deshalb zu meiner Unterstützung Ihnen einen Parallelfall anführen. Zwischen 1825 und 1835 riss man unsere sämtlichen, Jahrhunderte alten, so außerordentlich malerischen Stadttore nieder. Man glaubte, das dem wachsenden Verkehr schuldig zu sein. Denn damals spielte sich auf der Strasse nicht nur der Lokalverkehr zwischen der Stadt und den umliegenden Dörfern ab, wie heutzutage seit der Einführung des Kraftwagens sondern der gesamte Verkehr zwischen Dresden und Leipzig flutete mitten durch unsere Stadt. Ein großer Teil des Personen- und Güteraustausches in Richtung Böhmen, zwischen dem Rheinland und Schlesien, ja sogar Polen und Russland ging durch unsere Stadt hindurch. Denn die Meschwitzer Fähre, in grauer Vorzeit vielleicht der wichtigste Übergang über die mittlere Elbe, war seit Jahrhunderten zu lokaler Bedeutung herabgesunken. Besonders vor und nach der Leipziger Messe war ein Leben und Treiben in unserer Stadt als zöge der Train einer großen Armee hindurch. Hunderte und aberhunderte von 4-,6-,8- spännigen hochbeladenen Planwagen – einmal kam sogar ein 16- Spänniger hindurch – rasselten durch die Gässchen unserer Stadt. Da Meissen Nachtstation war, wurden die entspannten Wagen auf dem Jahrmarkte, dem. heutigen Theaterplatz, aufgestellt; die Pferde verquartierte man in die Gasthöfe der Stadt. Oft reichte der Platz nicht aus. Man nahm den Kleinleinmarkt, den Roßplatz und den großen Markt für die fragen die Wagen, die Höfe der Bürgerhäuser für die Pferde in Anspruch. Diesem riesigen Verkehr zuliebe mussten die Tore weichen. Obgleich doch verschiedene Stimmen, leider vergeblich, nur für eine Ausbuchtung der inneren Torbogen sich erhoben.

Da fing man an Eisenbahnen zu bauen. Diese Eisenbahnen brachten eine Verkehrsveränderung, eine Verkehrsverschiebung mit sich, die wir uns gar nicht groß genug vorstellen können. Noch nicht 100 Jahre sind seitdem verflossen. Während aber viele gebildete Deutsche wissen, welchen Einfluss die Eroberung Siziliens auf dem Getreidemarkt und überhaupt auf die Volkswirtschaft im alten Rom gehabt hat, haben sie sich kein Bild, gemacht von der Umwälzung, die die Erbauung von Eisenbahnen in volkswirtschaftlicher Beziehung für unser Vaterland mit sich gebracht hat. Ich sehe ganz ab von den indirekten Wirkungen, z.B. auf die Landwirtschaft, die sieh den Anbau, anderer Feldfrüchte zuwandte, wodurch das Landschaftsbild im Sommer sich wesentlich veränderte. Z.B. der Mohn, die Lupine, Webercarden und andere viel angebaute Pflanzen verschwanden und andere Feldfrüchte traten an ihre Stelle.

Ich will hier nur die direkten Wirkungen anführen. Viele Gasthofbesitzer, Lastgeschirrführer und Omnibushalter, Botenfuhrleute, Stellmacher, Schmiede sowie Handelsleute, die monatelang mit ihrem Warenlager von Stadt zu Stadt zogen, wurden brotlos. Unsere Stadt büßte den ganzen Durchgangsverkehr ein und wäre zum Ackerbürgerstädtchen herabgesunken, hätte die Regierung nicht die Industrie eingeführt. Aber, und das wollte ich hier nur anrühren, unsere schönen Tore, die ehrwürdigen Zeugen früherer Jahrhunderte, sind damals umsonst gefallen. Selbstverständlich, wie sind und wollen keine Chinesen sein. Das Recht der Schwachen ist eherne Gesetz. Ehe weiter niedergerissen werden soll, muss gründlich geprüft werden, ob andere Auswege möglich sind. Denkmalpflege und Heimatschutz halten jetzt ihre schützenden Hände über Unversehrtes. Von Alten also der Sinn fürs Alte. Soweit es schön ist, ist es in weiteste Kreise gedrungen, so dass man wohl behaupten kann, dass solche Sachen, wie es das 19. Jahrhundert fertig gebracht hat, nicht mehr im 20. Jahrhundert gemacht werden. Soweit gedacht, dass die Entwicklung des Abendlandes nicht in einem baldigen Chaos endet, was mancher hypochondrischer veranlagter Zeitgenossen uns aufzudrängen versucht.

Es kann heute nicht meine Absicht sein, ihnen all die Namen der Künstler, von denen ich Bilder von Meißen besitze, der Reihe nach anzuführen. Es sind mehrere hundert Maler, Zeichner Radierer, Kupferstecher und Lithographen. Auch muss ich mir versagen, die noch lebenden Künstler anzuführen. Letzteres würde aus dem Rahmen einer historischen Betrachtung hinausgehen.

Um das älteste Bild, das Meißen darstellen soll, hat sich ein heftiger wissenschaftlicher Streit entsponnen über die Frage, ob überhaupt unsere Stadt mit ihrer Umgebung dem Künstler beim Entwurf dieses Bildes gedient hat. Diese Stadtansicht befindet sich auf dem Flügel eines Altares, der 1486 unter Einfluss der flandrischen Schule gemalt und von dem Meißnischen Bischof Johann von Weißbach der Schlosskirche zu Stolpen, seiner Lieblingsresidenz, gestiftet worden ist. In der Mitte befindet sich der Burgberg mit dem Dom und den übrigen Gebäuden, rechts die damals noch dreitürmige Kirche in Zscheila, links der Martinsberg oder ein Teil des Spaargebirges. Es wäre also ein Blick von der Nassau nach der Stadt. Das Interessante an diesem Bilde ist nun, dass der Dom mit drei Spitzen versehen ist. Für den Laien ist es schwer ein Urteil zu fällen, ob dieses bild wirklich Meißen darstellt. Die Meinung des verstorbenen Dombaumeisters Schäfer steht derjenigen des Entdeckers dieses Bildes, Geheimrat Gurlitt, schroff gegenüber. Beide Ansichten haben Anhang in der wissenschaftlichen Welt gefunden. In der 1588 erschienenen Meißener Chronik von Faust wird berichtet, dass 1543 die drei Domtürme durch Blitz zerstört worden sind. Faust berichtet allerdings oft auch Falsches. Es ist merkwürdig, von Faust über ein Ereignis, dass erst 45 Jahre zurückliegt, von den also Augenzeugen zweifellos vorhanden waren, falsch unterrichtet worden zu sein. Vielleicht kann mit dem dritten Turm der Höckrige gemeint sein. Vielleicht auch der Turmknopf, der ehemals als breiter Turm bezeichnet wurde, mit einer Notverdachung versehen gewesen. Doch das sind Fragen, deren Antwort nicht der Sinn meiner Ausführungen sein kann.

Die erste unbestrittene Ansicht von Meissen ist von Hiob Magdeburg, dem dritten Lehrer der damals gegründeten Fürstenschule. Er hat 1558 ein großes Bild von Meissen für den Rat gemalt, das ja noch erhalten ist. Dieses Bild ist vielmal mehr oder weniger gelungen als Holzschnitt veröffentlicht worden, so z.B. In Münster Cosmographie 1559, in Braun & Hogenberg 1575, 1516 in Bertlus und noch an manchen anderen Orten. Diese kostbaren und teueren Werke waren damals überall in Deutschland verbreitet und füllten eine Lücke aus, wie heute unsere geographischen Handbücher. In künstlerischer Qualität, wenn man die Zeitverhältnisse berücksichtigt, gingen sie weit über die modernen Erzeugnisse hinaus. Die Photographie, wie sie bis vor kurzen noch gehandhabt wurde, hat hier, wie auch auf die Porträtmalerei verflachend sowie zerstörend auf den Geschmack und die Bedürfnisse der Masse gewirkt.

Dieses Bild von Hiob Magdeburg werde ich Ihnen dann nach der Pause im Lichtbilde vorführen und wir wollen dann eine kurze Wanderung durch unser Städtchen wie es sich damals präsentierte unternehmen. Ich komme nun zu einem Manne, dem wir Sachsen aller-
größten Dank schuldig sind. Es ist Wilhelm Dillich. Weiteren Kreisen ist er erst kürzlich bekannt geworden, als seine Federzeichnungen kursächsischer Städte aus den Jahren 1626 guten Nachbildungen veröffentlicht worden sind. Es wurde zu weit führen, sich jetzt mit seinem Leben, seinen Taten und seiner Bedeutung eingehend zu beschäftigen. So viel ist sicher, Dillichs Malweise bedeutet einen ganz gewaltigen Fortschritt der Städtemalerei gegenüber der vorhergehenden Zelt. Ja, seine Nachfolger in den nächsten fünf Menschenaltern haben ihn nicht wieder erreichen können. Selbst ein so bedeutender Städtezeichner wie Merian bleibt ganz bedeutend hinter ihm zurück. Seine heitere Auffassung der Natur, das objektiv ästhetische Wohlgefallen an der Landschaft, das feine Empfinden für Architekturschönheiten ist bei ihm lebendig. Nur seine Bilder geben uns Kunde, wie unsere kursächsischen Städte vor dem 30-jährigen Kriege wirklich ausgesehen haben. Unendliche Wehmut erfasst einen, wenn man diese Juwele mittelalterlicher Baukunst betrachtet mit ihren Domen und Türmen, mit ihren Mauern und Toren, mit ihren Dächern, Giebeln und Erkern. Wie sie sich in die Landschaft anschmiegend hinein passen, wie sie lustig, behäbig, wie zufrieden und doch dabei kraftvoll daliegen. Wenn man dann die Wandlung sieht, die diese Wohnstätten bis heute durchgemacht haben, fürwahr es erfasst einem ein Grauen. Merian, den ich eben erwähnt habe, hat 30 Jahre später die Dillichschen Bilder nachgezeichnet Ebenso Peter Schenk in Amsterdam, Klafey, der fast l00 Jahr später lebte. Keiner erreichte Dillichs Können, obwohl sie nur seine Bilder abzuzeichnen brauchten.

Ich überspringe nun viele Namen. Nun möchte ich sie mit Christian Friedrich Kühnel bekannt machen, der als Maler und Radierer an der Manufaktur 1792 im Alter von 72 Jahren starb. Er hat Szenen aus dem siebenjährigen Krieg hinterlassen, wie er ihn in unserer Gegend sah. Sie sind ungemein lebendig und wahrhafte Dokumente ihrer Zeit. Jetzt gehören sie zu den größten Seltenheiten. Ich wusste keine passendere zeitgenössische Illustration in einem Werke über den siebenjährigen Krieg als diese Bilder Kühnels. Um diese Seit lebte auch Johann Georg Wagner, ein geborener Meissner. Er ist nur 23 Jahre alt geworden. Von seinen Zeitgenossen wurde er als der Raffael der Landschaftsmalerei gepriesen. Es war Modesache, von Ihm Zeichnungen oder Kupferstiche nach seinen Bildern zu sammeln. So zum Beispiel schätzten ihn Goethe, Hagedorn und andere berühmte Leute seiner Zeit außerordentlich. Bis 11 Louisd’or bezahlte man für ein Wagnerisches Bild. 23 deutsche und französische Kupferstecher, damals die bekanntesten, vervielfältigten seine Werke und verbreiteten damit seinen Ruhm. Nicht nur in seiner engeren Heimat, nicht nur in Deutschland, sondern vor allen Dingen auch in Frankreich und in Dänemark. Ich besitze von ihm ein sehr schönes Deckfarbenbild und über 20 Kupferstiche aller Landschaften, die Motive aus der Umgegend von Meissen darstellen sollen. Sie sind, zart ausgedrückt, Ideale, richtiger gesagt Unwahrheiten. Wir Menschen von heute können nicht begreifen, dass ihm solch ein großer internationaler Erfolg beschieden gewesen ist. Er starb allgemein tief betrauert 1767 in dem Haus an der Lorenzgasse, In dem sich jetzt der Erlanger Hof befindet.

Ein Landschaftsmaler, der außerordentlich zart besonders in Wasserfarben malte, ist Johann Friedrich Nagel, 1793 bis 1825 an der Manufaktur. Karl Gottlob Ehrlich, an der Manufaktur tätig und 1799 als Zeichenlehrer mit 55 Jahren gestorben, gehört nicht nur zu den bedeutendsten Malern seiner Zeit, sondern er ist es wert, dass sein Name der Vergessenheit entrissen wird. Von künstlerischer Vollendung sind seine allerdings seine seltenen Radierungen von Meißen. Bei dieser Gelegenheit darf Hofmaler Jentzsch, der bis 1797 an der Manufaktur war, nicht vergessen werden. Ihm verdanken wir einen der reizvollsten Stiche von Meissen. Ich halte ihn für den bedeutendsten Landschaftsmaler um die Wende des 19. Jahrhunderts.

Ich komme nun zu Adrian Zingg, den Paten und späteren Lehrer Ludwig Richters. Ich habe von ihm ein schönes Original von der Albrechtsburg, ein wunderschönes Bild von Scharfenberg und mehrere Kupferstiche. Bald überstrahlte jedoch der Ruhm Richters den seines ehemaligen Meisters. Zingg wurde schon zu seinen Lebzeiten vergessen, er starb arm und verbittert. Jetzt erst nach l00 Jahren fängt man an, sich wieder mit ihm zu beschäftigen. Ludwig Richter, der bekanntlich mehrere Jahre hier in Meißen lebte, hat oft Meißen gemalt und gezeichnet. So 1828 eine Folge, die viele Stiche von ihm enthält. Motive von unserem Martini, auch Motive vom Stadtkirchturm finden sich in seinen Holzschnitten.

Die Dresdner I. und C.A. Richter, nicht verwandt mit Ludwig Richter, sowie die Künstlerfamilie Täubert, zwei Brüder und des einen Sohn, haben mehrfach Meissen gemalt. In meiner Sammlung finden sich auch feine Originale und kolorierte Kupferstiche. Dieses kolorieren von Umrisslinien oder, wie man es früher nannte, das Illuminieren, wurde vor l00 Jahren bis ungefähr 1860 in der Zeichenschule der Manufaktur fleißig geübt und auch die ausgebildeten Maler dieser Anstalt haben sich früher in ihrer freien Zeit, besonders wenn nicht voll gearbeitet wurde, manchen Silbergroschen verdient. Sogar englische Stiche kamen damals zum Illuminieren nach Meißen. Der Buntdruck hat diese Fertigkeit, die eine ganz besondere Technik und Routine erforderte, leider ganz verdrängt.
Auf den Architekturmaler Schwechten möchte ich ganz besonders hinweisen, der in einem kostbaren Werk von 22 Aquatintatafeln die Schönheiten unseres Domes schilderte. Von ihm stammt eine Ergänzung der Domtürme. Ich möchte aber betonen, dass ich als Laie sie für die glücklichste Lösung halte.

Um die Mitte des 19. Jahrhundert waren es Weibezahl, Scheiblich und Schlechte, die Meißen im Bild festgehalten haben. Das 1845-er Hochwasser, von Schlechte gemalt, hing früher in fast jeder Meißener Bürgerwohnung.

Von den Kunstanstalten waren vor 100 Jahren die Dresdner Firmen Murasch, Beger, Grinck, dann Täubert und Arnold wichtig. In Meißen veröffentlichten Goedsche, Klinkicht, Brück& Sohn, Steinmetz& Bornemann und in letzter Zeit der Verlag die Truhe Bilder von Meißen. Der allergrößte Verdienst steht Steinmetz & Bornemann, jetzt Grießbach, zu. Mehr als 100 Bilder unserer Stadt sind im Verlaufe der letzten 70 Jahre in dieser Anstalt veröffentlicht worden.

Zum Schluss noch ein paar große künstlerischer Namen, die den Kenner nicht unbekannt sein dürften: Pulian, Paul Mohn, Oehme, Georgi, von Leipold, Mannfeld, Lange, der jünst versorbene Bernhard Schröder und Oskar Zwintscher.

Sie alle haben Meißen geliebt und gemalt, sich von dem Zauber der alten Stadt umweben lassen, die bei Sonnenschein und bei fahlem Mondlicht, bei Sturm, Gewitter und Schneegestöber entzückende Bilder von unglaublicher Schönheit den empfänglichen Auge schenkt.


Das Bild von Hiob Magdeburg von 1558. Man nahm damals wahrscheinlich beim Entwerfen eines Städtebildes den Plan des betreffenden Ort,es zu Hilfe und zeichnete auf die Grundrisse die einzelnen Gebäude. Man erhielt dadurch ein Bild aus der Vogelschau, auf dem man in die einzelnen Plätze, Gassen und Höfe hineinsieht. An eine halbwegs richtige Perspektive und an künstlerische Qualität war natürlich nicht zu denken, sondern wie Sie sehen, ist es mehr eine plumpe trockene Häufung von Details. Aber die Darstellung, wenn sie auch jede Komposition noch vermissen lässt, ist im Einzelnen getreu und wahr. Und darauf kommt es uns ja an. Versetzen wir uns in das Jahr 1558. Hoch zu Ross, damals die einzig halbwegs schnelle Beförderungsart sind wir früh von Dresden weggeritten durch die Lössnitz hindurch. Der Friedewald, ein Teil der Moritzburger Heide, reichte weiit über die Lösnitzberge oft bis in die Ebene hinab,m wahrscheinlich zog er sich ab und zu bis an das Elbufer hin. Die Waldabhänge wurden einige Male von neuen Weinbergsanlagen durchbrochen, in welcher Kurfürst August Versuche mit Reben aus Bacharach, den damals berühmtesten rheinischen Weinort, gemacht wurden. Schon um diese Zeit war der Weinbau in hiesiger Gegend mehrere Jahrhunderte alt. Es zeigten sich hier und da, wenn auch noch selten, Merkmale des Niedergangs und der Entartung. Die Gründe waren in der Inzucht der Reben und der unrationellen Bearbeitung der Berge zu suchen. Durch allerlei Verordnungen, welche die Arbeit des Winzers während des Jahres regelten, soweit durch die Anlage der eben erwähnten Musterweinberge suchte der fürsorgliche Landesherr mit Erfolg das Übel zu bekämpfen. Es war ja eine Bedrohung der Haupteinnahmequelle seiner Landeskinder. Der Weg ließ Zaschendorf rechts liegen, er ging über das Spaargebirge und folgte somit der uralten Straße, die in grauen Vorzeiten, als die ganze Nassau von einem einzigen Teiche mit breiten sumpfigen Rändern ausgefüllt gewesen, über das Gebirge angelegt worden war, um den Überschwemmungen auszuweichen. Auch jetzt noch dehnte sich zwischen Fürstenberg, Riesenstein und Niederau ein großer Teich aus, deren Abfluss eine Mühle antrieb. Heute zeigt das Gasthaus Teichmühle die Stelle an, wo jene Mühle gestanden hat. Vom Kalkberg, den wir herunter reiten, haben wir den ersten Blick auf Meißen. Durch die Einführung der Reformation hatte Meißen an äußerem Glanz verloren. Das großzügige Leben, der Prunk, wie er mit dem Sitz eines Bistums verbunden gewesen, war weggefallen. Da die Wettiner schon seit vielen Jahren in Freiberg, in Dresden, in Torgau oder Annaburg Hof hielten und selten nach Meißen kamen, war die politische Bedeutung gesunken. Aber Handel und Gewerbe blühten. Vor allem blühte der Weinbau. Von Zadel, Gröbern, Oberau bis Nach Helldorf, dem heutigen Weinböhla, reihte sich Weinberg an Weinberg. Ebenso waren das Meisatal, der Steinberg, der Questenberg, das Rauhental, der Breiteberg und der Plossen mit Reben bestockt. Dazu kam der Kapellenberg, heutige Tonberg und Ratsweinberg. Er gehörte in seiner ganzen Ausdehnung der Stadt. 60 Leser und 10 Buttenträger brauchte die Stadt zur Erne und 1553 wurden 90 Fass, das sind 36.000 Liter geerntet. Der Ratswein hatte einen guten Ruf. So hatte der Rat 1551 Melanchton ein Viertel Blanken als Geschenk nach Wittenberg gesandt. Ein uraltes Sprichwort, dass den hiesigen Wein den Rheinwein gleich stellt und uns verrät, daß der Meißner manchmal unter fremden Namen in die Welt hinaus ging sagte:

Landwein kannst Du schweigen?
Ins Rheinfass sollst Du steigen.
Sag, Du wärst gar weit heraus,
Bist Du auch in Meissen zu Haus.

Viel Wein ging nach Hamburg und dann nach Übersee, ins Baltikum und nach Russland. Allerdings, Cochläus, der bekannte Gegner Luthers, der 1535 bis 1539 Domherr in Meißen war, schrieb an seinem berühmten Freund Willibald Dürkheimer in Nürnberg: „Ich fürchte zwar sehr, dass mir die Weine dieses Landes die Gicht bringen. Auch die Elbe, worüber ich mich sehr gewundert habe, hat ihre Weinberge.“ Nun, vielleicht gab mehr die Quantität als die Qualität des genossenen Weines zu solchen Befürchtungen Anlass. Der Herr Cochäus hätte sicher auch an Rhein und Main sein wohlverdientes Zipperlein bekommen.

Cölln kurz vor der Meißner Brücke steigen wir vom Pferde, um einen Blick auf das malerische Gesamtbild der „herrlichen und berühmten Stadt“ zu werfen. Rings ist die Stadt mit einer hohen Mauer umgeben, neben welcher mit 7 bis 15 Meter Zwischenraum eine niedrigere äußere Mauer nebenher läuft. Der Raum zwischen beiden Mauern heisst Zwinger. Im Bereich der Fürstenschule hat sich der Name erhalten. ist In die Mauer sind mehrere getürmte Tore eingelassen, die nachts geschlossen wurden. Wir wollen nun mal den Lauf der Stadtmauer verfolgen und beginnen an der Elbbrücke. Wir gehen nach links, wo wir an der Stelle des Einflusses der Triebisch in die Elbe zwei halbkreisförmige, bastionsartige Ausbuchtungen in der Mauer bemerken. Die mittelalterliche Befestigungskunst nannte so etwas Horne. Diese Horne sind lange der Erde gleich gemacht. Der Name „Am Horn“ ist jedoch geblieben. Später ging hier ein Fußsteig über die Triebisch, der Karlsteg. Von dem behauptet die Sage, dass die Pest nach Meißen käme, sollt er einmal niedergerissen werden. Wir gehen die Triebisch aufwärts. Wo sich jetzt die Rote Schule befindet, nach Säuberlichs zu, steht ein Turm, der als Stadtgefängnis, als Fronfeste, diente. Er ist erst 1656 niedergerissen worden. Hier wurden die Meißner Revolutionäre von 1648 gefangen gesetzt: der Bürgermeister Zschucke, der dann genau 1001 Tage im Zuchthaus zu Waldheim verbringen musste, während es dem Lehrer Thürmer gelang, auf abenteuerliche Weise aus dem Gefängnisse zu entweichen, verkleidet ganz Deutschland zu durchqueren und in Holland nach Amerika einzuschiffen.

Vom jetzigen Ausgang der Marktgasse nach dem Rossplatz sehen wir das erste Tor auf dieser Seite: das Jüdentor. Von da bis hinauf zum Markt hieß diese Strasse ehemals Judengasse. Erst um l800 kam für den oberen Teil der Name Schnurengasse auf, vielleicht weil damals 2 Seiler ihre Geschäfte dort hatten. In neuester Zeit erhielt die Gasse den nichtssagenden Namen Marktgasse, denn es führen doch viele Gassen nach dem Markte und der Wochenmarkt wird ja auf mehreren Strassen abgehalten. Nicht weit vom Judentor folgt das Fleischertor. Das am Anfang der Neugasse dem Seilermeister Lange gehörende Häuschen mit dem weit nach vorn ausladender 1. Etage, war das Einnehmerhäuschen zum Fleischertor.

Es stand neben diesem, aber außerhalb der Stadtmauer. An der Kerbe biegt die Mauer im rechten Winkel nach der Görnischen Gasse. Hier bei Hentschel & Wittich (Görnische Gasse 9) stand das Görnische Tor. Gleich neben diesem Tor war der städtische Marstall .Hier waren die Ställe für die Pferde, welche die Stadt an die durchreisenden Fuhrleute zu Vorspanndiensten verlieh, damit sie die steilen Höhen mit ihren schweren Wagen überwinden konnten. So war zum Beispiel jahrhundertelang der kleine Plossenweg die einzige Fahrstrasse, die nach Wilsdruff führte. Auf ihr musste der gesamte Train und die Kanonen der preussischen Armee bewegt werden, die dann die Schlacht bei Kesselsdorf schlug. Nun klettert die Stadtmauer den Afraberg hinauf. Auch hier, jenseits der Mauer standen Häuser. Sie bildeten die Vorstadt Hintermauer. Die Mauer zieht sich hinter der Fürstenschule und Afrakirche hin. An der Nossener Straße steht jetzt der sogenannte Pönitenzturm, der mit der städtischen Gerichtsbarkeit aber nicht zu tun hat. Wahrscheinlich hat er der Fürstenschule als Carcer gedient und deshalb den Namen im Volksmund erhalten. Dann kommt das Lommatzscher Tor, das wir hier nicht sehen, das uns aber vielfach in Bildern und Stichen erhalten geblieben ist. Die Stadtmauer führt nun herauf zur Burg, deren steilabfallende Seite nach Meisatal die Mauer ersetzt. Auf dem Bilde sehen wir nun die Mauer nur vom dem Wassertor unterbrochen. Im großen Bogen zur Elbbrücke verlaufend, ist der Kreis geschlossen.

Reste der ehemaligen Stadtmauer, deren Erhaltung vor Erfindung des Schießpulvers die Stadt, das Domstift sowie das Afrakloster teilten und die nach 1800 größtenteils abgetragen wurde, finden wir z.B. an der Kerbe, im Grundstück der landwirtschaftlichen Schule (Freiheit 10) und an der Fürstenschule. Im Hinterhause der Otto & Schlosserschen Villa (Leipziger Str. 40) steht noch ein Turmstumpf. Auch sonst sind einzelne Teile in Neubauten eingeschlossen, so zum Beispiel in einem Hause am Rossplatz, dort wo die Fleischergasse einmündet. Reste einer noch älteren Mauer, die wahrscheinlich eine frühe Siedlungsphase umschloss, in der sich die Stadt im Mittelalter entwickelte, befinden sich in den Hausgärten zwischen Burg- und Lorenzgasse. In meiner Schulzeit, als durch das Haus an der Lorenzgasse, welches jetzt dem Kaufmann Mischner (Lorenzgasse 4) gehört, ein öffentlicher Durchgang nach der Burggasse führte, konnte man noch deutlich einen solchen Stadtmauerteil verfolgen.

Wir reiten jetzt über die Brücke, nachdem wir unser Brückengeld von 2 Hellern entrichtet haben, das von einem städtischen Beamten eingenommen wird. Erst 1814 ging die Brücke in Staatseigentum über. Wir werfen noch schnell einen Blick elbaufwärts. Eine entzückendere Aussicht kann man sich kaum denken. Die Elbe liegt vor uns wie ein großer langgestreckter
See, im Hintergrund von grünen Bergen eingeschlossen. Schloss Siebeneichen, das damals nicht so hinter Bäumen versteckt war, spiegelt sich stolz in den Fluten. Sie war noch nicht verunreinigt von Großstadt-Abfall und Industriewässern, noch nicht eingeschnürt von Quaimauern und wimmelte von Fischen. Später hat Ludwig Richter diesen Blick festgehalten. Jetzt hat die grauenvolle Eisenbahnbrücke einen brutalen dicken Strich durch die reizvolle Szenerie gezogen.

Durch die geplante Höherlegung der Brücke wird die Sache noch schlimmer werden. Als übrigens die Eisenbahnbrücke gebaut werden sollte, hatten die damaligen Stadtväter ihre Einwilligung nur unter der Bedingung gegeben, dass die Leipzig-Dresdner Eisenbahnkompagnie sich verpflichtete, am Anfang und Ende der Brücke turmartige Gebäude anzufügen, die in das Städtebild passen sollten. Bekanntermaßen trat der Staat bald in den Vertrag ein ,fühlte sich aber nicht verpflichtet, trotz mehrfacher Erinnerungen seitens des Meissner Stadtrats die Bedingungen zu erfüllen. Wir passieren nun das Tor und kommen gleich in eine Gasse, in der die reichsten und vornehmsten Familien wohnten: die Elbgasse. Sie war schon damals neben der Burggasse und der Fleischergasse die Hauptgeschäftsstrasse. Die Jetztzeit hat sie neuerungssüchtig in Elbstrasse umgetauft; für mich ist dies immer ein Kennzeichen gewesen, ob ich mit einem Meißner Kind zusammensitze oder nicht. Erzählt der betreffende von der Elbstraße ist er sicher nicht innerhalb Meißen geboren.

Wir kommen nun auf den Heinrichsplatz. Seit 1863, in diesem Jahr erbaute man den Brunnen, nach Heinrich I. benannt. Hier, im dem Gebhardtschen Hause (Heinrichsplatz 1) befand sich jahrhundertlang die Post. Vor diesem Hause erwartete 250 Jahre später Schiller den befreundeten Verlagsbuchhändler Schwan aus Mannheim, der mit seinen Töchtern von Leipzig durch Meissen kam. Die eine Tochter war Schillers Jugendliebe gewesen. Er hatte jedoch das Verhältnis gelöst und nun nach längerer Zeit sah er sie hier zum ersten Male wieder.

Wir biegen rechts um und kommen auf den sogenannten Jahrmarkt, den heutigen Theaterplatz. Bald stehen wir vor dem großen Gewandhause, das damals noch mit wunderschönen Giebeln verziert war. Schon von der Brücke aus haben wir das langgestreckte Haus mit seinem hohen Dach bemerkt, denn nur niedrige Häuser umsäumten damals den Platz. Hier im Gewandhaus fand der Einzelverkauf der Erzeugnisse der Tuchmacherinnung statt Sie war damals die reichste und angesehendste Innung der Stadt und konnte aus ihrer Lade das schöne Tor zum städtischen Friedhof an der Frauenkirche Ende des 16. Jahrhunderts stiften, das Tuchmachertor, das ja heute noch steht. Allerdings hatte das Handwerkswesen in Sachsen eine Blüte hinter sich. Unzählige und äußerst scharfe Bestimmungen engten die persönliche Freiheit des einzelnen Meisters, besonders aber der Gesellen ein und behinderten eine gedeihliche Weiterentwicklung. Es durften von jeder Innung nur eine ganz bestimmte Anzahl Meister in der Stadt sein. Nur durch die Zahlung einer größeren Summe Geldes oder, indem der Geselle in ein Geschäft einheiratete, wenn er nicht das Glück hatte, Meisters Sohn zu sein, war es möglich, sich selbstständig zumachen. Heftige Lohnstreitigkeiten waren an der Tagesordnung. Arbeitseinstellungen wurden häufig als Druckmittel genutzt. So setzten die Gesellen auch durch, dass Sie den sogenannten “Blauen Montag“ feiern durften. Bis weit in das 18. Jahrhundert hinein wurde in vielen Gewerben nur fünf Tage in der Woche gearbeitet.

 


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